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Titel
Illuminierte Urkunden. Beiträge aus Diplomatik, Kunstgeschichte und Digital Humanities


Herausgeber
Bartz, Gabriele; Markus Gneiß
Reihe
Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde, Beiheft (16)
Erschienen
Köln/Weimar/Wien 2018: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Gussone, Historisches Institut, Universität Mannheim

Thema des vorliegenden Bandes ist die sowohl von historischer als auch von kunsthistorischer Seite lange Zeit vernachlässigte Gruppe der illuminierten Urkunden. Mit Ausnahme von fünf nicht verschriftlichten Beiträgen enthält er die Vorträge der internationalen Tagung „Illuminierte Urkunden. Von den Rändern zweier Disziplinen ins Herz der Digital Humanities/Illuminated Charters“, die im September 2016 in Wien stattgefunden hat. Sie wurde von den Mitarbeiter/innen des Projekts „Illuminierte Urkunden“ ausgerichtet, deren Arbeitsergebnisse auf monasterium.net (unter dem Unterpunkt „Collections“) zugänglich sind und fortlaufend ergänzt werden. Das dort bereits vorhandene Bildmaterial konnte für einige der vorgestellten Untersuchungen genutzt werden, auch wird in vielen Artikeln darauf verwiesen und in der elektronischen Version des Tagungsbandes (der der Rezensentin jedoch nicht vorlag) direkt darauf verlinkt. Auf diese Weise konnte die Zahl der zur Verfügung gestellten Abbildungen deutlich vergrößert werden.

Der Band widmet sich im Hinblick auf die Illuminierung von Urkunden der Frage, „warum sich Aussteller und Empfänger aus ganz Europa (und darüber hinaus) dennoch dieser Mühe unterzogen und zusätzliche Kosten auf sich nahmen, um ihren Urkunden ein hervorstechendes Gepräge zu verleihen“, obwohl „die Dekoration [...] keinen Einfluss auf den Rechtsinhalt“ hat (S. 11). Dies geschieht vor allem anhand von Einzeluntersuchungen und Detailstudien über unterschiedliche Urkundentypen und weitere Quellenarten aus zahlreichen Ländern und Regionen, auch den Randbereichen Europas. Zeitlich reicht ihre Spannbreite vom Frühmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, mit einem Schwerpunkt auf dem späten Mittelalter. Auf diese Weise wird auch wenig bekanntes Material vorgestellt und dadurch angeregt, illuminierte Urkunden breiter zu kontextualisieren und weiterführende Fragestellungen zu entwickeln.

Den insgesamt 22 Beiträgen, die in deutscher, englischer, französischer oder italienischer Sprache abgefasst sind und hier leider nicht einzeln vorgestellt werden können, ist, mit Ausnahme der Einführung, eine kurze englische Zusammenfassung vorangestellt. Es folgt jeweils ein Verzeichnis der darin abgekürzt zitierten Literatur, das einen raschen Überblick über die verwendeten Titel erlaubt. Am Ende des Bandes befindet sich ein umfangreicher Farbtafelteil, dem noch ein Abbildungsnachweis, ein Verzeichnis der Siglen und Abkürzungen sowie kurze Vorstellungen der Autoren folgen.

Die inhaltliche Gliederung des Tagungsbandes folgt der auf monasterium.net vorgenommenen Einteilung der Urkunden nach dem Grad ihrer Auszierung (auf S. 29–36 beschrieben). Diese „Hierarchie der Ausstattungsmerkmale“ (S. 29), die Martin Roland entwickelt hat, fasst den Begriff Illumination sehr weit und teilt die Urkunden in drei Niveaus von „unscheinbar“ bis „prächtig“. Niveau 3 beinhaltet dabei Urkunden mit graphischen Elementen, wie Chrismon und Monogramm. Da innerhalb des Bandes wiederholt der Illumination jede Bedeutung für die Rechtsgültigkeit einer Urkunde abgesprochen wird, soll hier jedoch betont werden, dass einigen dieser graphischen Elemente, wenn man sie denn tatsächlich als Illumination bezeichnen möchte, natürlich erhebliche Bedeutung bei der Beglaubigung zukam. Niveau 2 umfasst graphische Zeichnungen ohne Verwendung von Farben und ohne Bezug zum Text und Niveau 3 alle Urkunden mit farbigem Schmuck oder mit Darstellungen, die historisiert sind, das heißt auf den Inhalt oder eine der beteiligten Parteien Bezug nehmen.

Im ersten, auf Englisch verfassten Beitrag (S. 45–51) widmet sich Vincent Christlein der automatisierten Erkennung illuminierter Urkunden in Datenbanken. Dessen Ergebnisse sind gut nachvollziehbar, die technischen Einzelheiten jedoch recht anspruchsvoll. Hier wäre vielleicht eine deutsche Zusammenfassung hilfreich gewesen. Zwei weitere Beiträge (von Lisa Dieckmann und Péter Kóta) beschreiben die Schwierigkeiten, digitalen Plattformen wie monasterium.net oder prometheus relevante und vergleichbare Informationen zu entnehmen sowie mit deren und der Hilfe archivalischer Findmittel illuminierte Urkunden überhaupt ausfindig zu machen, schließlich Methoden und Herangehensweisen zu entwickeln, um diese Hilfsmittel zu verbessern bzw. zu trainieren.

Mehrere Autor/innen zeigen an Beispielen, wie die Kunstgeschichte von der intensiveren Beschäftigung mit illuminierten Urkunden profitieren kann (etwa Otfried Krafft, Laura Alidori Battaglia). Es wird dafür plädiert, die illuminierten Urkunden als Kunstwerke ernst zu nehmen und den vergleichenden Blick auch auf andere Quellenarten wie Kopiare, Register, Gerichtsakten und Rechnungen zu werfen, wo Verzierung nicht selten als Gliederungswerkzeug dient (Olivier Guyotjeannin). Wie insbesondere Alidori Battaglia an den Urkunden der Visconti und Sforza und den in ihrem Auftrag hergestellten Handschriften zeigt, gab es personelle Überschneidungen in beiden Bereichen. Die Urkunden liefern dabei exakt datiertes Material, das helfen kann, undatierte Manuskripte mit identischen Zierelementen einzuordnen, ja sogar die stilistische Entwicklung einer Werkstatt nachzuverfolgen (ebenso Alison Stones). Wechselwirkungen zwischen Buchschriften und Papsturkunden, die auch durch Kanzleipersonal aus verschiedenen europäischen Regionen befördert wurden, diskutieren Krafft und Francesca Manzari.

Ein weiteres Ergebnis ist die Erkenntnis, dass Empfänger die Illuminierung ihrer Urkunden, nachdem sie ihnen vom Aussteller ausgehändigt worden waren, nicht selten nachträglich in Auftrag gaben (Guyotjeannin, Alidori Battaglia, Marina Bernasconi Reusser, Helena Szépe), wobei sich dann die Schwierigkeit ergibt, dass die Schmuckelemente nicht mehr exakt datierbar sind (Alidori Battaglia). Elizabeth Danbury betont den Wert der Illuminationen für Urkundenempfänger an englischen Beispielen, vielfach Klöster oder Kirchen, die nicht unbedingt Geld für Unwichtiges erübrigen konnten (S. 262). Denn wenn auch Illuminationen für die Rechtswirkung eines Schriftstücks in den meisten Fällen unerheblich waren – sie konnten für einen Anschein von Wahrhaftigkeit und Historizität sorgen, Authentizität vermitteln und den Bedeutungsverlust von Institutionen in gewissem Umfang kompensieren (Susanne Wittekind), den symbolischen Wert und den Charakter der Einzigartigkeit unterstreichen (Bernasconi Reusser) oder schlicht für Feierlichkeit sorgen (Laurent Hablot).

Leider wird die großzügige Bebilderung des Bandes in ihrem Wert dadurch relativiert, dass zahlreiche Abbildungen qualitativ nicht zufriedenstellend sind, nicht nur in Bezug auf die Farbgebung. Vielfach (wie auf S. 26f., 115 und 117) sind sie so klein, dass man die in den Texten beschriebenen Details nur mit einer Lupe erkennen kann, und teilweise so unscharf (etwa S. 239, 246, 294f.; Tafeln 15A und B, 18B, 19), dass es nicht einmal auf diese Weise möglich ist. Es wäre bei einer Thematik, die auf brauchbare Abbildungen angewiesen ist, um den vorgestellten Gedankengängen zu folgen, zu überlegen gewesen, ob man ein größeres Buchformat hätte wählen oder wenigstens vereinzelt Klapptafeln verwenden können, zumindest aber hätte der vorhandene Seitenraum überall sinnvoll ausgenutzt werden sollen (etwa S. 438, 441; Tafel 49). So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, der Schriftvergleich, den Manzari (S. 170) vornimmt, mithilfe der zugehörigen Abbildungen (S. 171f.) nicht wirklich nachvollziehbar. Unpraktisch ist zudem die enge Bindung, die das Buch zuschlagen und Seiten umklappen lässt.

In diesem insgesamt unglaublich anregenden Band wird eindrücklich gezeigt, welche Fülle von Fragen sich aus der Beschäftigung mit illuminierten Urkunden – obwohl es sich zahlenmäßig um einen kleinen Teilbestand aller Urkunden handelt – bereits ergeben hat und noch ergeben kann. An den vorgestellten Beispielen wird deutlich, in welch hohem Maße Kunstgeschichte und Geschichte voneinander profitieren können, ja sogar aufeinander angewiesen sind. Zugleich aber ist Stones beizupflichten, die auch die kleineren Archive und ihre Bestände in Erinnerung bringt: „There is so much still to be done, to uncover what is lurking in the Archives and to set it in its geographical, historical and social context“ (S. 252). Auch in Zukunft sollten dabei beide Disziplinen die jeweils andere mit ihren Erkenntnissen bei der eigenen Forschungstätigkeit berücksichtigen. Voraussetzung für die fortgesetzte intensive Zusammenarbeit an großen Urkundenbeständen ist und bleibt aber eine fortlaufende Digitalisierung des Materials, worauf Torsten Hiltmann in seinen abschließenden Überlegungen explizit hinweist, die Weiterentwicklung automatischer Analysemethoden sowie die Notwendigkeit, das Bewusstsein für die Verzeichnungswürdigkeit von Urkundenschmuck gerade bei den Archiven zu schärfen (Krafft, Guyotjeannin). Als wünschenswert wurde während der Tagung die Ausarbeitung eines kontrollierten Vokabulars oder Thesaurus und einer Typologie der Urkundeninitialen als Hilfe bei der Urkundenbeschreibung erkannt. Bei der Klassifizierung und beim Verzeichnen illuminierter Urkunden und konkret beim Auffinden bestimmter Suchmerkmale ist jedoch bereits zurzeit das vorhandene Glossar auf monasterium.net sehr hilfreich.

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